Selbst die Spitze des Stifts wollte nicht mehr schreiben. Wenn der Stift sich nicht über das Papier bewegen wollte, wie sollte Arif dann schreiben? Das Blatt vor ihm war voller Zahlen. Plus, Minus, Divisionen, Multiplikationen… „Was soll ich nur tun, wie komme ich da wieder raus?!“, dachte Arif. Eine Weile betrachtete er die Seiten in seiner Hand. Es gab so viele Unstimmigkeiten, dass es mit einer bereits vollgeschriebenen Seite ohnehin nicht zu lösen war. Er musste von vorne anfangen. Ein leeres Blatt und ein gespitzter Stift waren nötig. Am wichtigsten aber: ein erfahrener Blick von außen.
Er hatte ein großes Problem. Er stand kurz vor der Hochzeit. Sie hatten die Absicht, in allen Zeiten füreinander da zu sein und sich gegenseitig zum Guten zu führen. Ja, das war ein Geschenk für sie. Aber nachdem sie eine Wohnung gemietet, einen Hochzeitssaal gebucht, ein Brautkleid gekauft und ein Wohnzimmer-Set angeschafft hatten, war das gesamte Ersparte aufgebraucht. Arif versuchte, eine Lösung zu finden. Er wollte keine falschen Schulden machen, um ein Haus mit Segen zu haben. Bisher hatte er immer gut aufgepasst, nur so viel ausgegeben, wie er verdient hatte, und war dem Schuldenmachen nie positiv gegenübergestanden.
Aber jetzt war die Situation anders. Er würde bald heiraten, und die Liste der Bedürfnisse wurde immer länger. Deshalb schrieb er ständig, strich wieder durch und rechnete immer wieder neu. Ja, er wollte, dass alles vorhanden ist – aber er fragte sich auch, ob man wirklich all das braucht, um eine glückliche Ehe zu führen. Doch weil er seine Verlobte nicht enttäuschen wollte, versuchte er, jeden Wunsch von ihr zu erfüllen.
Die Menschen wollen, dass alles sofort geschieht. Ein wunderschönes Zuhause soll es sein – aber bitte ohne Mühe. Ein wunderbarer Partner – aber bitte ohne Launen. Ein wohlhabender Partner –aber bitte ohne Sparsamkeit. Dabei sind diese Wünsche keine Errungenschaften, die man auf einen Schlag erhält, sondern Ergebnisse eines Prozesses. Es braucht Zeit und einen gewissen Preis. Wenn es etwas gibt, das den Menschen im Leben entwickelt, dann ist es die Leistung, die er bringt. Stärke entsteht aus dem, was man überwindet – doch der Mensch sehnt sich nach einem Leben ohne Leistung.
„Was haben die Alten wohl gemacht?“, dachte er. Als Kind hörte er manchmal seiner Großmutter zu – fast so, als würde er ein Märchen hören. Sie erzählte, dass sie in den ersten Jahren ihrer Ehe nicht einmal eine eigene Wohnung hatten und erst im Laufe der Jahre in ein eigenes Zuhause zogen. Viele ihrer Möbel hätten sie nach und nach angeschafft. Aber sie vergaß nie zu sagen, dass das die glücklichsten Jahre ihres Lebens gewesen seien.
„Dann muss wohl nicht alles perfekt sein“, dachte Arif. Er beschloss, sich mit ein paar Leuten zu beraten. Zuerst wollte er mit seinem Chef sprechen. Mustafa war seit 30 Jahren verheiratet. Wie hatte er damals angefangen? Hatte sein Vater ihm Wohnung, Auto oder Möbel geschenkt? Dann sprach er mit seinem Onkel – und schließlich mit seinem Vater. Sie alle hatten eine gemeinsame Geschichte. Sie waren glücklich. Ja, sie waren es immer noch. Aber die Erinnerungen, die ihnen ein Lächeln in die Augen zauberten, stammten aus der Zeit, in der sie mit wenig auskommen mussten.
„Wir haben damals zwei Einzelbetten gekauft“, erzählte Mustafa. „Tagsüber saßen wir darauf, nachts haben wir sie zusammengeschoben und darauf geschlafen. Als die Kinder in die Grundschule kamen, hatten wir nicht einmal einen Couchtisch – nur damit sie besser lernen konnten, haben wir uns dann einen kleinen Tisch für die Mitte des Zimmers gekauft.“
Heute besitzen sie die größten und bequemsten Betten. Doch gerade das, was sie in ihren ersten, schweren Jahren erlebt hatten, hatte sie zu dem gemacht, was sie heute sind.
„Wir haben alles Schritt für Schritt aufgebaut. Nichts kommt auf einmal, mein Sohn“, sagte sein Vater ruhig.
„Einen Monat lang haben wir uns nur eine Kaffeekanne geleistet. Im nächsten Monat kamen die Tassen dazu. Und erst im dritten Monat haben wir endlich Kaffee gekauft. Aber nach dieser Wartezeit hat der Kaffee geschmeckt, als käme er frisch aus dem Jemen“, erinnerte sich sein Onkel lachend – ein fröhliches, aber von Sehnsucht durchzogenes Lachen.
Als Arif all das hörte, wurde ihm klar, wie sehr er sich das Leben unnötig schwer gemacht hatte. In seinem Kopf formte sich eine Strategie – eine, die ihn selbst entlasten und zugleich seine Ehe zu einem gesegneten Zuhause machen sollte. Teile, zerlege und führe.
Die Strategie fürs Lernen war im Grunde dieselbe wie für den Möbelkauf, die Haushaltsführung oder sogar die Staatsführung. Den Tag einteilen, die Zeit aufteilen, die Nacht aufteilen, den Bedarf aufteilen, das Einkommen aufteilen… Was er sich anschaffte, sollte durch Almosen und Zakat gesegnet sein. Seine Verlobte war ein guter Mensch. Sie würde Geduld haben – vielleicht würde es ihr sogar gefallen. Jeden Monat würde er einen Mangel ausgleichen. Vielleicht könnten sie so die ersten Ehejahre sogar noch mehr genießen. Er schrieb weiter. Teilte auf, zerlegte und machte seine Liste übersichtlicher. Als er die dringenden Bedürfnisse nach vorne sortiert hatte, würde sich der Rest mit der Zeit schon fügen…
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